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Talentetauschkreis – neues Paradigma des Wirtschaftens?
Für eine Wiedergewinnung von Steuerbarkeit von Wirtschaft,
für eine offene, mitmenschliche, nachhaltige, menschliche Kultur und Gesellschaft

von Markus Distelberger

Heute gewinne ich häufig in der öffentlichen wirtschaftspolitischen Diskussion den Eindruck, daß Wirtschaft, Kapital etwas Großes, Erhabenes, Gottgegebenes, in gewisser Weise Unantastbares ist, eine diffuse numinose Macht, von der wir alle abhängig sind, die wir nicht verschrecken oder verärgern dürfen. Schnell entzieht sie uns ihre Gunst und wandert wo anders hin und wir stehen ohne ihren Segen da. Wie viele Entscheidungen werden heute nach dem Kriterium wirtschaftlich – unwirtschaftlich getroffen, wobei einzig entscheidender Maßstab ist, ob die wirtschaftliche Aktivität mehr Geld hervorbringt als vorher eingesetzt wurde.

Eine kapitalertragsfreie Wirtschaft realisiert demgegenüber eine Alternative: ohne Zinsen und Dividenden gibt es keinen Druck, daß Kapital sich vermehren muß. Auch würde das Kapital nicht wie verrückt nach der besten Veranlagung um die Welt rasen, wenn es nicht von seinen Eigentümern mit den entsprechenden Gewinnerwartungen dazu getrieben würde. Man kann ohne diesen Druck viel entspannter wirtschaften. Wenn jemand einen Überschuß an Geld hat, den er gerade nicht braucht, wird er dieses Geld in aller Ruhe jemand anvertrauen, den er gut kennt, dem er vertraut und dessen wirtschaftliche Aktivität er für nützlich hält. Er kann seinen Überschuß aber auch auf seinem Konto so lange stehen lassen, bis er selber eine neue Verwendung hat. In einem zinsenlosen Tauschkreis gibt er damit automatisch Kredit an die anderen Mitglieder, die gerade im Soll sind und das ändert sich mit jedem Tauschumsatz. Im zinsenlosen Tauschkreis werden daher keine Versprechungen von Kapitalertrag, die erst in der Zukunft erfüllt werden, gemacht. Hinter jedem Guthaben steht auch eine reale Leistung. Die Summe aller Sollstände (durch Kredit geschöpftes Geld) ist gleich der realen gesamten Wirtschaftsleistung des Tauschkreises. In unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist dies nicht so. Durch das Versprechen von Zinsen und Dividenden wird unsere Zukunft und die unserer Kinder, Enkel und Urenkel exponentiell (fortscheitend) belastet. Das führt zu der immensen Verschuldung, die wir heute haben. Dadurch, daß alle diese Schulden mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen und eingesetztes Aktienkapital Dividende und Kursgewinn abwerfen muß und mit diesem erwarteten Kursgewinn wieder gehandelt und spekuliert wird, ist heute die Geldmenge um das zig-fache des Waren- und Dienstleistungswertes ausgedehnt worden, das alles nur in der Hoffnung auf zukünftigen Gewinn. Durch die elektronische weltweite Kommunikation hat sich das alles noch mehr beschleunigt und total verselbständigt, sodass diese Art der Wirtschaft nicht mehr steuerbar ist. Der Entscheidungsspielraum für die Bevölkerung und ihre (demokratischen) Organe scheint gegen Null zu gehen. Geld, Kapital, das den Menschen dienen soll ist zu einer verantwortungslos agierenden, allesbeherrschenden Maschinerie geworden, von dem die Menschen immer mehr existenziell abhängig sind. Diese Abhängigkeit und die zum Teil destruktiven Folgen dieser Maschinerie werden als unvermeidlich angesehen. Wieviele sind froh, daß sie eine Arbeit und Existenz haben und haben Anspruch auf Würde, Sinnhaftigkeit, Rechtschaffenheit und Wohlergehen bei ihrer Arbeit augegeben? Das Verblüffende ist, daß die Lösung einfacher ist, als man glaubt. Es heißt schlicht, mit dem alten System aufzuhören, Geschäfte zu machen und neue Wirtschaftskreisläufe und Wirtschaftsgemeinschaften in Form von zinsenlosen Tauschkreisen aufzubauen, wo und wann immer Menschen dazu bereit sind. Das Problem ist nämlich kein technisches – technisch ist es denkbar einfach, einen Tauschkreis zu gründen – sondern ein Problem des Glaubens. Auch das alte System funktioniert einzig und allein, soweit Menschen an den Sinn und die Möglichkeit ständiger Expansion glauben. Viele sehen keinen Grund, an unserem derzeitigen Wirtschaftssystem zu zweifeln, weil es für sie augenscheinlich funktioniert. Sie sehen nicht, daß der Preis für die Expansion außerhalb „ihrer Welt“ bezahlt wird, in der dritten Welt, im Ökosystem, von Randgruppen, Flüchtlingen, Kindern, Alten ua. Doch der Zahltag kommt unweigerlich für jeden von uns. Auch wenn wir im Laufe unseres Lebens nicht in Geld zahlen müssen, so kann vielleicht die Erkenntnis, ein langes Leben nur als „Nehmer“ gelebt zu haben ein harter Preis sein. Aber auch ein Leben in Angst, Neid, Mangel, Konkurrenz, Isolierung, Beschleunigung, ständigem Kampf aller gegen alle ist auch nicht ganz das Wahre und auch durch Konsum, Besitz, Macht und diverse Sucht- und Betäubungsmittel läßt sich nicht verläßlich ein subtil nagendes Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit vertreiben.
Der zinsenlose Tauschkreis ist für mich kein Allheilmittel, sondern nur im wirtschaftlichen Bereich der Ausdruck eines anderen Geistes oder Welt- und Menschenbildes. Er kann nur gedeihen in einem Geist von Gemeinschaft, Kreativität, Muße, Reichtum, Fülle und Verbundenheit. Fragt sich nur, wie wir dorthin kommen. Eigentlich gibt es heute bei aller Zerstörung, die passiert, gleichzeitig einen großen Reichtum dieses „anderen Geistes“, wenn man ihn nur sieht. Erfahrung, Kraft und Hoffnung eines solchen „anderen Geistes“, wo Gemeinschaft selbstverständliche Lebensgrundlage ist, vermitteln einerseits die verschiedensten indigenen Völker, andererseits bei uns „Selbsthilfegruppen“, Gemeinschaften von Menschen, die aus schwerer physischer und psychischer Not sich zusammenfinden und dadurch neue Lebenskraft finden (z.B. Anonyme Alkoholiker u.a.). Auch in Nachbarschaften, Dörfern, Pfarreien kirchlichen und anderen religiösen Gruppen scheint es noch vereinzelt Gemeinschaft aus dem Bewußtsein zu geben, daß genug für alle da ist. Charakteristisch für alle diese Gemeinschaften ist, daß die Verbundenheit die das Geben und Nehmen schafft, als beglückend und erfüllend erlebt wird. Wenn wir dies als eine gültige, im Menschen angelegte Erfahrung anerkennen, hindert uns nichts, dieses Prinzip des entspannten Gebens und Nehmens auch in der Wirtschaft zu leben. Mit Menschen Gemeinschaft zu pflegen ist für mich eine gute Möglichkeit, mich selbst diesem Reichtum zu öffnen.

Tauschkreise sind eine Möglichkeit, Gemeinschaft zwischen Menschen, die sehr vielfältig und verschieden umfassend sein kann, aufzubauen oder zu vertiefen. Den Orten und Bereichen, wo solche entstehen können sind keine Grenzen gesetzt. Überall, wo Menschen sich zusammenfinden können, ist auch ein Tauschkreis möglich. In kleinen Dörfern am Land, ebenso wie in Stadtteilen, zwischen Mitarbeitern großer Unternehmen oder Institutionen ebenso wie zwischen Unternehmen national und international, in Universitäten, Schulen, Kirchen, Krankenhäusern oder in der Altenpflege. Gerade letzteres ist in Deutschland schon seit Jahrzehnten in den „Seniorengemeinschaften“ etabliert. Grundprinzip für den Aufbau einer solchen Gemeinschaft, eines Tauschkreises ist nur, daß Menschen ein Bewußtsein von Fülle und Reichtum entwickeln, in dem sie alles das, was sie selber erhielten nicht für sich zurückhalten sondern wieder in Umlauf bringen. Wenn man die Dinge genau betrachtet, ist uns letztlich alles geschenkt worden und so können wir getrost auch wieder alles schenken, was ja beim Leben so vorgesehen ist.

Literaturverzeichnis bzw. Buchempfehlungen:

Zum Thema Geldwesen:

Berhard A. Lietaer, „Das Geld der Zukunft“
Berhard A. Lietaer, „Mysterium Geld“, beide Riemann Verlag
Klaus Kleffmann, „Das Tauschringarchiv“, Hasen-kamp 30, D-49504 Lotte, e-mail: archiv@tauschring-archiv.de
Broschüre des Föhrenbergkreises „Geld statt Arbeit“, IWIP Institut für Wirtschaft und Politik, Bestellung 1030 Wien
Udo Herrmannstorfer, „Schein-Marktwirtschaft“, Verlag Freies Geistesleben 1991
Helmut Creutz, Das Geldsyndrom, Ullstein TB
Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation, Goldmann TB
Heidemarie Schwermer, Das Sterntalerexperiment - Mein Leben ohne Geld, Riemann Verlag

Zum Thema Gemeinschaft und Stammeskultur:

Daniel Quinn, „Ismael“
Daniel Quinn, „Ismaels Geheimnis“ beide Goldmann Taschenbuch
Vine Deloria jr., „Nur Stämme werden überleben“, Lamuv Taschenbuch 187
Marlo Morgan, „Traumfänger“
Marlo Morgan, „Traumreisende“, beide Goldmann Verlag
Anne Wilson Schaef, „Living in Process“,
Anne Wilson Schaef, „Mein Weg zur Heilung“
Anne Wilson Schaef, „Botschaften der Urvölker“
Jerry Mander, „In the Absence of the Sacred – from the Failure of Western Technology and the Survival of Indian Nations“