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Mit Konflikten Wachsen - Plädoyer für
eine Mediationskultur
im Leben mit Kindern
von Dr. Markus Distelberger
In
der Lernwerkstatt und ähnlichen Schulen hat man es sich zum
zentralen Ziel gesetzt, eine sogenannte vorbereitete, entspannte
Umgebung für die Kinder zu schaffen, in der sie von innen heraus
sich entfalten und entwickeln können. Diese Umgebung ist leider
nicht immer so entspannt, wie sich Eltern und Betreuer dies wünschen.
Es gibt bisweilen Spannungen innerhalb von Ehe, Lebensgemeinschaft,
oder Elternpartnerschaften, im Verein zwischen einzelnen Eltern
untereinander, zwischen einzelnen Eltern und Betreuern, fallweise
auch zwischen Vorstand und Betreuer, vielleicht auch zwischen Eltern
und Großeltern. Wenn Spannungen und Konflikte auch schmerzhaft
sein können und manchmal auch zu Trennungen führen, möchte
ich sie als solche nicht negativ bewerten, sondern als ein wesentliches
Charakteristikum von menschlichem Leben, ja von Leben überhaupt
ansehen. Das Entscheidende ist, wie wir damit umgehen und unser
Umgang sich auf uns und unsere Kinder auswirkt.
Spannungen und Konflikte nehmen Aufmerksamkeit und Energie in Anspruch.
Es kann sein, daß dann unsere Fähigkeit, Kinder aufmerksam
und liebevoll zu begleiten, eingeschränkt ist, weil wir so
voll mit etwas anderem sind. Wenn wir diesen unseren Zustand wahrnehmen,
wie er zum Beispiel bei Trennungs- und Abschiedssituationen vorkommt,
können wir vielleicht Vorsorge für unsere Kinder treffen,
indem wir zusätzlich andere Menschen bitten, für unsere
Kinder präsent zu sein.
Wenn wichtige Bezugspersonen von Kindern (Eltern untereinander,
Eltern – Betreuer, Eltern – Großeltern) länger
dauernd miteinander in Konflikt leben, fangen viele Kinder an, Energie
in diesen Konflikt zu investieren. Manche entwickeln ein verändertes
sogenanntes auffälliges Verhalten, vielleicht sind sie besonders
auf Touren oder besonders zurückgezogen. Ich vermute, daß
Kinder einfach spüren, wenn eine wichtige Bezugsperson gegenüber
der anderen Gefühle von Ablehnung oder Angst hegt, auch wenn
sie diese nicht äußert.
Im Zusammenhang einer Schule wie die Lernwerkstatt, die von einer
Gemeinschaft von Eltern getragen ist, sollten wir aber auch nicht
Konflikte und Spannungen, wie es in den verschiedenen Bereichen
der Schule zeitweise einfach gibt, außer Acht lassen. Diese
beeinflussen besonders bei den am Meisten Engagierten Eltern und
Betreuer oft sehr stark die Lebensqualität und die Qualität
der Schule.
Ich glaube, daß aufbauend auf den vorhandenen Ansätzen
die bewußte Entwicklung einer Mediationskultur gegenüber
einem herkömmlichen Auskämpfen, Aussitzen, Verdrängen
oder vielleicht manchmal fruchtlosem Diskutieren einen wirklichen
Quantensprung in der Qualität der Beziehungen zwischen den
Erwachsenen bringen kann.
Ich
habe gemeinsam mit meiner Frau Margarete Distelberger aufbauend
auf unseren Erfahrungen und Lernprozessen der letzten 10 Jahre eine
spezielle Form von Mediation, die prozessorientierte Gemeinschaftsmediation,
entwickelt. Wir gehen davon aus, daß jede Spannung, jeder
Konflikt zwischen Menschen 4 Ebenen hat:
- Das Innere der einen Person
- Das Innere der anderen Person
- Die Beziehung der Beiden
- Die Umgebung der beiden Konfliktpartner
Diesen
4 Ebenen entsprechen jeweils eigene Prozesse, die sich gegenseitig
beeinflussen. Wenn wir alle 4 Ebenen einbeziehen, unterstützen
wir das Wachstum einer nachhaltigen Lösung. Da sind einfach
viel mehr Resourcen und Erfahrungen da, um zu lernen. Es ist ein
gemeinsamer Lernprozess von KonfliktpartnerInnen, MediatorInnen,
Co-MediatorInnen, Vertrauenspersonen, anderer KonfliktpartnerInnen
und einzelner Lernwilligen. Wenn auf der individuellen Ebene der
Prozeß stockt und die Verstrickung mit der anderen Person
sich nicht zu lockern scheint, sind liebevolle Rückmeldungen
und Berichte von eigenen Erfahrungen von anderen Mitgliedern der
Mediationsgemeinschaft sehr wertvoll. Sie können den inneren
Prozeß in Schwung bringen. Wir gehen auch bei der Mediation
davon aus, daß die Lösungen nicht von dem Mediator/der
Mediatorin herbeigeführt werden, sondern aus dem Inneren der
Beteiligten und ihrer Beziehung wachsen und reifen. Der/Die MediatorIn
ist Werkzeug eines tieferen Prozesses und hilft, die Verbindung
mit diesem Prozeß zu pflegen. Wir sind daher aufmerksam auf
Gefühlsbewegungen und geben Raum dafür, daß tiefe
Gefühle ihre Lösungs- und Heilungsarbeit machen können.
Wenn ein/e MediationsparterIn sich zurückzieht, um sich ihrem
inneren Prozeß zu widmen, entscheidet sie selbst, ob und mit
wem sie ihren Prozeß teilt und wann sie wieder auf die äußere
Ebene der Mediationsbeziehung zurückkehrt. Das Schöne
an der Gemeinschaftsmediation und an der Mediation überhaupt
ist, daß man einen so praktischen, lebensnahen und unmittelbar
lebensrelevanten Stoff bearbeitet. Das hält einen auch am Boden
der Realität und Entwicklungen, Veränderungen und Lösungen
sind greifbarer. Der Ausgangspunkt ist schließlich ein handfester,
greifbarer Konflikt. Da hat man auch immer eine Basis, von der aus
man feststellen kann, ob man ein Stück weitergekommen ist,
oder nicht.
Auch die übliche äußere Struktur der Mediation mit
ihren 5 Phasen gibt eine klare Orientierung:
- Abschluß des Mediationsvertrages
- Festlegung der Konfliktthemen
- Verständnis aufbauen und Horizont
erweitern von den Positionen zu den Lebensinteressen
- Lösungsvorschläge finden
und verhandeln
- Lösung vereinbaren
Die Schlüsselphase ist die Phase 3. Hier entscheidet
es sich, ob ein Fortschritt erzielt wird.
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