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Notizen zu Spiritualität,
Menschen- und Weltbild
von Dr. Markus Distelberger
Die
Frage nach der Spiritualität ist das Zentrum, ist elementar,
alles andere sind nur Zugänge, Türen durch die man eintritt.
Die
vielen Formen von Absonderungen, die wir heute in unserer Kultur
haben, sei es Behinderte von Nichtbehinderten, Ausländer von
Inländern, Sozial Schwierige von „ordentlichen Bürgern“,
Junge von Alten, Alte von Jungen etc., haben ihre Wurzel in einer
Grundeinstellung unserer Kultur, die alles nach Nützlichkeit
im Rahmen eines expansiven Wirtschaftssystems bewertet und den Kontakt
zum Leben an sich in seiner Vielfalt verloren hat. Es herrscht eine
komplett verdrehte Denkweise vor, die wirtschaftlich-technologische-materialistische
Ziele so überhöht, dass sie als die eigentlichen Lebensinhalte
vermittelt werden. Für mich geht es darum, eine tiefe innere
Verbindung zum Leben, Respekt gegenüber allem anderen Leben
und Wertschätzung seiner Fülle und Vielfalt zu entwickeln.
Ich bezeichne das als Spiritualität und meine eine Beziehung
zu einem größeren Ganzen, das Bewußtsein, daß
man/frau Teil eines größeren Ganzen ist, wie auch immer
das jemand für sich empfinden oder formulieren mag. ES muss
sich dabei nicht um eine Religion oder sonstwie organisiertes Glaubensbekenntnis
handeln. Ich glaube, dass es zum Leben wie das Atmen dazugehört,
aber in unserer Kultur sehr stark behindert und zugeschüttet
wird. Als Ersatz, um spirituelle Leere zu füllen, werden durch
die dominante massenmediale Unterhaltung und Werbung leere Versprechungen
eines „besseren Lebens“ angeboten in Form von mehr Konsum,
mehr Geld, mehr Macht, dass alles immer besser funktioniert, mehr
Erleben („mehr vom Leben haben“), jede Menge und Vielfalt
von Mitteln (inkl. diverser Drogen), die aber alle nur zu kurzfristiger
Erleichterung verhelfen und den Menschen, den Zugang zu wirklicher
innerer Kraft rauben. Dazu dienen externe Mittel wie Alkohol, Medikamentenmißbrauch,
Marihuana, Kokain, Nikotin, Kaffee u.a., oder auch Stimmulierung
von körpereigenen „Drogen“wie Adrenalin, Endorphinen,
u.a. durch Missbrauch von normalen Lebensfunktionen zu Suchtzwecken
wie z.B. bei süchtigem Essen, Arbeiten, Sex, Kaufen, Spielen
etc.)
Wir
verspüren in uns einen durch äußere Dinge unstillbaren
geistigen Hunger nach Einheit, Verbindung, Wahrheit, Gerechtigkeit,
Güte, Größe, Freiheit und Schönheit. Diesen
Hunger zu haben ist für uns ein Wesensmerkmal von Menschsein.
Diesen Hunger von außen zu stillen versuchen führt uns
in die Abtrennung und Sucht. ("Wenn du vom Apfel ißt
wirst du sein wie Gott.") Sein wollen wie Gott, der über
Leben und Tod entscheidet, dem alles zur Verfügung steht.
Unsere Erfahrung ist, dass wir uns nicht wirklich glücklich
und befreit fühlen können, nichts wirklich Gutes zustandebringen
ohne diese Verbindung zu einem größeren Ganzen.
Das
7 Generationen Netzwerk soll Gemeinschaft und Erfahrungsaustausch
für Menschen ermöglichen, die diesen spirituellen Weg
gehen wollen.
Was
ist das, dieser spirituelle Weg? Über Erfahrungen damit berichten
die Ältesten der Urvölker, die Mystiker aller Religionen,
die Anonymen Alkoholiker oder vielleicht auch ein persönlich
gereifter Mensch in unserer Nachbarschaft, der sich mit all dem
nicht intellektuell beschäftigt sondern nur hingebungsvoll
lebt, ein Leben das ganz auf diese andere Wirklichkeit ausgerichtet
ist, von der man sich durchdringen lässt. Woran erkennt man
die Menschen, ob sie das haben:
Daß sie frei von Besessenheit, Verstrickung, Angst, Neid,
Eifersucht, Zorn und Haß sind, dass sie in wirklichem Frieden
mit sich selbst, den Menschen und Gott und der Welt leben. ("An
den Früchten werdet ihr sie erkennen")
Spirituell
reife Menschen sind sich bewußt, daß in allen Wesen
ein unendlich schöner Gedanke des Schöpfers angelegt ist,
der in sich das Streben, das Verlangen und die Kraft zu seine Sichverwirklichung
hat, der wir nicht im Wege stehen sollten, die wir nicht steuern
und kontrollieren brauchen und gar nicht können. Wir sollten
die fruchtlosen Versuche, Gott zu spielen, aufgeben.
Ganz Mensch sein – gegen die Illusionen der Abspaltung: Wir
– "Die dort"; Die Guten und die Bösen; Die
Zivilisierten Völker und die Terroristen usw.
Jeder Mensch hat etwas von "den Terroristen" in sich und
jeder von der Mutter Teresa oder von Mahatma Gandhi oder Martin
Luther King u.a.
Wie
sinnlos sind doch die vielen Kämpfe um "den richtigen
Weg", "die richtige Politik", die richtige Weltanschauung!
Wie können wir aufhören einander zu bekämpfen und
anfangen zusammenzuarbeiten oder zumindest einander zuzuhören,
voneinander zu lernen. Das ist doch unheimlich interessant. Wir
können uns doch durch unsere Verschiedenheit so immens bereichern,
nicht nur uns, die ganze Welt. Ist das nicht unsere Bestimmung,
unseres zu entwickeln und zu entfalten und gleichzeitig zu staunen,
was rund um uns für Wunder vorhanden sind.
Ein
spiritueller Mensch versucht die anderen Menschen nicht zu verändern,
sondern nur sich selbst. Sein eigenes Wachstum bringt aber gleichzeitig
Wachstum in die ganze Welt.
Beseeltes
Leben fördern und pflegen - Lebenszeichen auch in der Unwirtlichkeit
von Wüsten von seelenlosen Bauten, Technologien, Maschinen,
Organisationen, Institutionen, Fabriken, Produkte, diese nach unseren
Möglichkeiten mit Leben erfüllen, und auch achtsam mit
unserem Leben umgehen und achten, wo unser Leben zum Blühen
und Frucht bringen kommen kann
Leben
im Prozeß, ganzheitlich leben, mit all dem was mir täglich
begegnet, auch all die kleinen Freuden und Schwierigkeiten des Alltages
und auch mit den "großen" Freuden und Schwierigkeiten,
Konflikte etc. wirklich im Prozeß sein, sich nicht davonstehlen
vom "Leben" durch Ablenkungen, Zerstreuungen, Süchten,
Annorexien und Co-Abhängigkeiten, wie wenig oder stark fortgeschritten
sie auch sein mögen.
  
Spiritualität von Organisationen
Ich
glaube, daß nicht nur Einzelmenschen sondern auch menschliche
Gruppen, Gemeinschaften, Kirchen, Organisationen, Unternehmen, Institutionen,
ja auch Völker und Staaten aufgerufen sind, ihre Spiritualität
als Organisation zu entfalten. Wenn wir uns dies bewußt machen,
verwenden wir sie nicht so leicht als „Gottesersatz“,
vor allem die besonders mächtigen von ihnen.
Spirituelle
Entfaltung heißt für mich auch, meinen Sinn, meine Aufgabe
in einem größeren Rahmen als es meine eigene Existenz
ist, zu finden. So können wir zum Beispiel uns auch fragen,
was es unser spezieller Sinn und unsere spezielle Aufgabe als Österreicher
in Europa und in der Welt ist oder als Mitarbeiter der ÖMV
oder der Bank Austria im System unserer Weltwirtschaft usw.
  
Authentische Lebens- (Entwicklungs-)
bedürfnisse
im Spannungsfeld von Suchtprozess und Spiritualität beim Aufwachsen
von Kindern
In eine freien, offenen Erziehung möchten wir unseren Kindern
ermöglichen, dass sie ihre authentischen Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse
erfüllen können. Was diese sind, wie wir sie wahrnehmen
und was wir Erwachsene selber dabei zu tun oder zu lassen haben,
ist ein zentrales Lernfeld. Neben dem Focus auf die Umgebung des
Kindes (wozu auch wir selbst gehören) sollten wir unsere Wahrnehmung
auch verstärkt darauf richten, welche Einstellungen und Haltungen
ein Kind oder Jugendlicher in seinem Inneren mit seinem Selbst-
oder Ich-Bewusstsein aufbaut.
Was ist eigentlich der kindliche Egozentrismus genau?
Welche Ausprägungen deuten auf eine innere Not des Kindes hin?
Wie können Erwachsene da unterstützend sein?
Wenn
ein Kind Angst, Groll, Misstrauen in sein inneres Netzwerk, in sein
Ich-Konzept verwebt, ist der Grundstein für die Entwicklung
von Sucht gelegt. Angst, Groll und Misstrauen belasten jedes, besonders
aber junge menschliche Wesen sehr. Die verschiedenen Drogen, körpereigene,
wie z.B. Adrenalin und Endorphine oder von außen zugeführte,
wie z.B. Alkohol etc., schaffen vorerst Erleichterung, aber zu einem
extrem hohen Preis. Sie blockieren die Reifung eines gesunden Selbst-
und Ich-Bewusstseins, von Selbstvertrauen und Vertrauen in die Welt.
Wenn ein Kind hingegen seine angeborene Gelassenheit, Liebe, sein
Vertrauen und sein Staunen erhält und entfaltet, reift seine
Verbindung zur Welt und zur Ganzheit oder wie immer man dieses größere
unendliche Geheimnis auch bezeichnen mag.
Mit
Spiritualität meine ich keinesfalls irgendwelche bestimmten
Welterklärungs- oder Moralsysteme, denen sich der eine anschließt
und der andere nicht, sondern dieses Grundbewusstsein eines Menschen
über die Verbindung mit einem liebenden größeren
Ganzen. Dies, glaube ich, ist bei jedem lebenden Menschen, irgendwo,
irgendwie vorhanden, sei es auch noch so verschüttet, versteckt
oder anders benannt. Der Suchtprozess hindert die Entfaltung der
Spiritualität und hält den Menschen in Angst, Groll und
Vorstellungen von Mangel, Einsamkeit und Misstrauen – von
manchen Ego genannt – gefangen. Dieses Ego ist nicht zu verwechseln
mit dem Selbst- und Ich-Bewusstsein von spirituell (geistig) reifen
Menschen. Dieses zeigt sich vor allem durch die Fähigkeit,
sich von Angst und Groll zu befreien, durch echte Lebensfreude und
durch die Fähigkeit, Grenzen anzuerkennen und durch Schmerzen
und Schwierigkeiten auch durchgehen zu können und dadurch Erfahrungen
von Kraft und Stärke zu machen. Wirkliches, kreatives Lernen,
das von Innen herauskommt, ist nur in Freiheit von Angst möglich.
Eine liebende, unterstützende Gemeinschaft dürfte dabei
sehr wichtig sein, besonders auch für Jugendliche, ihre Aufgabe
in der Welt herauszufinden. Statt dessen mit verschiedenen Süchten
seine Zeit zu vergeuden,liegt vielfach allzu nahe. Eine Sensibilität
gegenüber dem Suchtprozeß ist nicht theoretisch erlernbar
sondern nur durch die praktische Auseinandersetzung mit dem eigenem
Suchtprozeß, in welcher Gestalt auch immer dieser auftritt
und sei es als Co-Abhängigkeit. Diese behindert in besonderem
Maße eine liebevolle Beziehung zu unseren Kindern, da wir
uns ja äußerlich scheinbar besonders um sie kümmern,
in Wirklichkeit aber nicht wirklich in Kontakt sind sondern gefangen
in Bildern, die wir uns von ihnen in unserem Kopf machen. Unsere
Kinder und Jugendlichen brauchen nicht perfekte Eltern und Lehrer,
sondern solche, die ehrlich sind und sich auch ehrlich um ihren
spirituellen (geistigen) Fortschritt bemühen.
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